Krankenhauspolitik von unten

Von Harald Weinberg
Erschienen in der Jungen Welt am 15.01.2020

Am Dienstag haben Verdi, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Pflegerat ein neues Konzept für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in Krankenhäusern vorgestellt. Hintergrund ist die große Unzufriedenheit mit der jetzigen kümmerlichen Regelung, den »Pflegepersonaluntergrenzen«. Es ist bemerkenswert, dass sich die DKG und Verdi auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten. Viele Jahre war die DKG als Lobbyorganisation aller Kliniken eine ausdrückliche Gegnerin gesetzlicher Vorgaben. Ihr Positionswechsel ist ein Erfolg der Kämpfe gegen den Pflegenotstand, die in den letzten Jahren vor allem von den Pflegekräften selbst geführt worden sind.

Mittlerweile wurden in 16 Krankenhäusern Tarifverträge bzw. Vereinbarungen abgeschlossen, die Entlastung und bessere Versorgung bringen sollen. Das zeigt: Die Protestbewegungen haben in den letzten Jahren die Krankenhauspolitik aufgemischt. Sie haben nicht nur die Streik- und Organisationskultur nachhaltig verändert, sondern auch deutliche Verbesserungen in der Krankenhausfinanzierung durchgesetzt. Zum 1. Januar sind die Personalkosten für alle Pflegekräfte auf bettenführenden Stationen aus den Fallpauschalen – dem zentralen Instrument zur Kommerzialisierung der Krankenhäuser – herausgelöst worden. Jetzt werden immerhin die tatsächlichen Personalausgaben der Krankenhäuser finanziert. Das schmerzt besonders die private Klinikindustrie, die mit der bisherigen Finanzierung einen erheblichen Teil ihrer Profite erwirtschaftet hat.

Auch die kargen Personaluntergrenzen können in diesem Sinn als Zwischenerfolg gesehen werden. Denn nicht nur die DKG, auch die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre haben verhindert, dass der Pflegenotstand behoben wird. Die Einführung der Personaluntergrenzen war zugleich das Eingeständnis, dass gesetzliche Vorgaben zwingend erforderlich sind. Das jetzt vorgelegte Instrument einer »PPR 2.0« ist die Weiterentwicklung der Anfang der 1990er Jahre eingeführten Pflegepersonalregelung (PPR). Schon die war Ergebnis von Kämpfen, die damalige Bundesregierung entwickelte sie als Reaktion auf eine große Pflegeprotestbewegung in Westdeutschland 1988/89 und den daraus hervorgegangenen allerersten Warnstreik von Krankenhausbeschäftigten in der deutschen Geschichte.

Seit den 1990ern hat die neoliberale Krankenhauspolitik das Rad schnell zurückgedreht, bereits 1996 wurde die PPR wieder außer Kraft gesetzt. In den folgenden zehn Jahren wurden 50.000 Vollzeitstellen in der Pflege abgebaut. Noch ist die »PPR 2.0« kein Gesetz, und nach wie vor wird die Krankenhauspolitik in Deutschland maßgeblich von marktradikalen Akteuren bestimmt. Aber die gewerkschaftlichen Entlastungsbewegungen der letzten Jahre zeigen einen praktischen Weg, wie den Verwüstungen der öffentlichen Daseinsvorsorge von unten entgegengetreten werden kann. Das macht Mut und Lust auf mehr.

Jetzt echte Personalbemessung in Krankenhäusern einführen

Pressemitteilung von Harald Weinberg

„Heute ist ein guter Tag für die Pflege im Krankenhaus. Endlich gibt es einen vernünftigen Vorschlag für eine bedarfsgerechte Personalbemessung. Daraus muss jetzt schnell ein Gesetz werden“, erklärt Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, zur Vorstellung des neuen Konzepts von Ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Weinberg weiter:

„Es ist bemerkenswert, dass sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und Ver.di auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten. Hintergrund ist die große Unzufriedenheit mit der jetzigen kümmerlichen Regelung. Die Personaluntergrenzen sind gescheitert, sie müssen dringend ersetzt werden.

Am heutigen Tag ist vor allem den Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern zu gratulieren und zu danken, die in den letzten Jahren gegen den Pflegenotstand aktiv geworden sind. Sie haben sich organisiert und gestreikt, erst dadurch sind die Krankenhausgesellschaft und die Bundespolitik in Bewegung gekommen.

Der Gesundheitsminister betont immer wieder, dass er die Arbeitsbedingungen und die Versorgung in den Krankenhäusern verbessern will. Mit dem neuen Instrument kann er seinen Worten Taten folgen lassen, um echte Entlastung zu schaffen. Aber dafür wird es weiter den Druck der Beschäftigten brauchen.“

Sonnenkönig Spahn setzt sich bei Sterbehilfe über Gerichtsurteil hinweg

Pressemitteilung von Harald Weinberg

„Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ignoriert nicht nur ein Gerichtsurteil, sondern auch den Willen schwerstkranker Menschen. Trotz des ohnehin schon extremen Leidensdrucks mutet er den Betroffenen einen monate- oder jahrelangen Rechtsweg zu. Das ist völlig inakzeptabel“, erklärt Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, zu Medienberichte, wonach das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mehr als 100 Sterbehilfe-Anträge abgelehnt hat. Weinberg weiter:

„Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 besagt, dass Menschen in einer extremen Notlage der Zugang zu einem tödlich wirkenden Betäubungsmittel nicht nur nicht verwehrt werden kann, sondern explizit ermöglicht werden muss. Doch der Sonnenkönig Spahn fühlt sich offenbar an Recht und Gesetz nicht gebunden und hat das BfArM als nachgeordnete Behörde angewiesen, dieses Urteil nicht umzusetzen.

Mehrere Rechtsexperten wie beispielsweise Prof. Robert Roßbruch haben seinerzeit darauf hingewiesen, dass Spahn hier rechtswidrig handelt. Er hat das BfArM zu einem zweifachen Rechtsbruch aufgefordert. Nach Spahns Anweisungen soll die Behörde nicht nur eine bindende höchstrichterliche Entscheidung ignorieren, sondern auch generell alle gestellten Anträge ablehnen, also keine Einzelfallprüfungen vornehmen.

Angesichts des Leids der Betroffenen ist eine Auflösung des Widerspruchs zwischen höchstrichterlicher Rechtsprechung und der Praxis im Hause Spahn dringend geboten. Das Urteil zur Einzelfallprüfung und die Aufforderung des Verwaltungsgerichts Köln, das Bundesgesundheitsministerium solle bei seinem Vorgehen mehr Transparenz schaffen, gehen in die richtige Richtung, reichen aber bei weitem nicht aus. Es muss eine klare und verbindliche Regelung geben, an die sich auch Spahn zu halten hat.“

Erklärung zur Abstimmung gem §. 31 GOBT, 14. November 2019, „Masernschutzgesetz“

Wir lehnen das von Gesundheitsminister Spahn vorgelegte Masernschutzgesetz ab, weil wir es nicht für geeignet halten, das Problem unzureichender Impfquoten gegen Masern zu lösen. Wir bezweifeln, dass der damit vorgenommene Eingriff in die Grundrechte angemessen ist. Zudem ist die Androhung von Geldstrafen bis zu 2.500 Euro unsozial. Während sich Wohlhabende freikaufen können, trifft eine solche Geldbuße finanziell benachteiligte Familien unverhältnismäßig schwer.

Die von der WHO angestrebte Elimination von Masern und Röteln ist möglich, wenn wirkungsvolle strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Impfquoten ergriffen werden. Das ist nicht nur notwendig, um die Ausbreitung dieser und anderer Infektionskrankheiten zu verhindern, sondern auch, um Menschen zu schützen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Gegnerinnen und Gegner von Impfungen sind eine zwar lautstarke, aber sehr kleine Gruppe. Die großen Impflücken entstehen nicht vor allem durch Ablehnung der Impfung, sondern durch fehlende niedrigschwellige Angebote, fehlende Organisation und unzureichende Anreize für Ärztinnen und Ärzte. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist finanziell und personell kaum mehr in der Lage, dieses wichtige Anliegen voranzutreiben.

Konzertierte Impfaktionen etwa in Schulen oder Betrieben finden meist nicht mehr statt. Viele Menschen kennen ihren Impfstatus oder die Masern- Impfempfehlung auch für Erwachsene nicht. Entsprechend sind teils eklatante Impflücken bei Erwachsenen ab dem Geburtsjahr 1970 zu finden und in dieser Altersgruppe finden die meisten Erkrankungen statt. Während die Quoten der Erstimpfung bei Kindern hoch sind, fall sie bei der Zweitimpfung deutlich ab. Das macht deutlich, dass organisatorische Mängel die Hauptursache für Impflücken sind.

Die Akzeptanz von Präventionsmaßnahmen wie Impfungen steht und fällt mit der Partizipation der Menschen. Eine positive Einstellung dazu staatlicherseits erzwingen zu wollen, etwa durch Drohung mit Geldbußen, halten wir für kontraproduktiv. In Ländern mit Impfpflicht ist die Zustimmung der Bevölkerung zu Impfungen teilweise geringer als heute in Deutschland. Untersuchungen legen auch nahe, dass bei einer Impfpflicht gegen bestimmte Erkrankungen die Inanspruchnahme von anderen Impfungen sinkt.

Vor diesem Hintergrund halten wir den Grundrechtseingriff durch das vorgelegte Gesetz für nicht verhältnismäßig, weil eine Reihe anderer, milderer Maßnahmen zur Erreichung desselben Ziels nicht ergriffen werden.

Sowohl aus epidemiologischer als auch aus ethischer und patientenrechtlicher Sicht haben wir erhebliche Zweifel, dass eine allgemeine Impfpflicht gegenwärtig effektiv und verhältnismäßig ist. Auch der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf vorgebracht. Diese Bedenken teilen wir und lehnen den Gesetzentwurf daher ab.

Harald Weinberg, Tobias Pflüger, Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Dr. Achim Kessler, Sabine Leidig, Andrej Hunko, Norbert Müller, Michel Brandt, Kathrin Vogler, Christine Buchholz, Hubertus Zdebel 1 Ligh

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